Homeoffice vs. Coworking: Was ist eigentlich besser?

Spätestens seit der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass Arbeiten auch anderswo als im Büro des Arbeitgebers funktioniert. Dabei haben sich zwei Modelle herauskristallisiert: das Homeoffice und der Coworking-Space. Wir haben mit zwei Experten darüber gesprochen, welche Vor- und Nachteile die jeweiligen Modell haben und welches das bessere ist.
Seit Corona reden alle von einem Wandel der Arbeitswelt, von neuen Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodellen und der Flexibilisierung der Arbeitswelt. Es ist bewiesen, dass der klassische Arbeitsplatz am Standort des Arbeitgebers dort, wo organisatorisch möglich, nicht mehr unabdingbar ist. Jedoch hat sich auch gezeigt, dass das meist praktizierte Homeoffice-Modell nicht immer die beste Lösung ist. Deshalb erleben die Coworking-Spaces in den letzten Wochen einen massiven Zulauf.
Sowohl Homeoffice als auch Coworking haben ihre Vorteile und zugleich ihre Grenzen, wie die Aachener Personalmanagerin Barbara Frett (FRETTwork network GmbH) und Tobias Kollewe, Vorstand des Bundesverbandes Coworking Spaces Deutschland e. V. (BVCS) und Vorstand der cowork AG wissen. Während Frett seit vielen Jahren als Personalmanagerin in mittelständischen Betrieben und Konzernen gute Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht hat, setzt sich Kollewe für mehr Coworking Spaces in Deutschland ein, vor allem im ländlichen Raum.
Wir hatten die Gelegenheit, mit den beiden ein Interview zu führen, in dem sie ihre jeweiligen Standpunkte pro Homeoffice und pro Coworking dargelegt haben.
Frau Frett, Sie sind seit vielen Jahren klare Verfechterin des Homeoffice. Warum kämpfen Sie so sehr für den Arbeitsplatz zuhause?
[BF] In Deutschland stehen wir in Sachen Flexibilisierung der Büroarbeit und insbesondere Homeoffice im internationalen Vergleich noch am Anfang. Es existieren leider immer noch die altertümlichen Vorurteile, dass Mitarbeiter im Homeoffice weniger produktiv sind, da sie nicht ausreichend kontrolliert werden können. Nehmen Sie dagegen die Niederlande. Dort gibt es einen Rechtsanspruch aufs Homeoffice.
Ich persönlich bin überzeugt vom Konzept des Homeoffice. Das hat sich in meiner jahrelangen Arbeit im HR-Bereich immer wieder gezeigt. Meine Erfahrung bringt das Homeoffice generell viele Vorteile. Das sind u. a.
- Befreiung von räumlichen Grenzen,
- Bindung von Müttern und Vätern als Arbeitskraft,
- Steigerung der Effizienz und Erhöhung der Motivation.
So gibt es Branchen, in denen geht es gar nicht mehr ohne dezentralen Arbeitsplatz. Hier sind z. B. die Außendienstmitarbeiter, die sehr weit weg von der Firmenzentrale tätig sind oder die Softwareentwickler, die sogar in Übersee sitzen und arbeiten, beispielhaft zu nennen.
Aber auch andere Branchen und Unternehmen können von einer Flexibilisierung des Arbeitsplatzes profitieren. Denken Sie nur an berufstätige Mütter und Väter. Sie können nur mit einem Homeoffice Beruf und Familie miteinander vereinbaren. Und die Unternehmen verlieren diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht komplett als Arbeitskraft.
Herr Kollewe, Ihnen als Vorstand des Bundesverbandes müsste eine solche Ansicht ein Dorn im Auge sein. Denn Homeoffice steht doch im Konkurrenzkampf zum Coworking. Oder nicht?
[TK] Ich glaube nicht, dass es einen Konkurrenzkampf zwischen Homeoffice und Coworking gibt und dass wir den auch nicht entfachen sollten. Coworking ist für die dringend notwendige Flexibilisierung unserer Arbeitswelt eine gute Lösung. Hier finden Arbeitnehmer den Arbeitsplatz, den sie für eine produktive Arbeit benötigen. Angefangen von der kompletten IT-Infrastruktur über die professionelle Raumausstattung bis zur nötigen Ruhe. Und der von Arbeitspsychologen als notwendig angesehene Austausch ist auch im Coworking Space gegeben – oft auch noch inspirierender, als im klassischen Büro-Setting.
Fast wöchentlich eröffnen neue Coworking-Spaces in Deutschland. Dieses rasante Wachstum deckt den tatsächlichen Bedarf von Unternehmen und Wissensarbeiten. Das hat seinen Grund.
Frau Frett, was sagen Sie dazu?
[BF] Natürlich kann ich nicht verleugnen, dass moderne Coworking Spaces optimale Arbeitsplatzausstattungen und IT-Infrastrukturen bieten. Dies sind Dinge, die der Arbeitgeber einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im Homeoffice natürlich in ähnlicher Weise zur Verfügung stellen muss. Ohne vernünftigen Arbeitsplatz nach neuesten Regeln und Gesetzen und einem vernünftigen Internetzugang ist kein Homeoffice machbar.
Was den fehlenden Austausch mit anderen Menschen angeht, so kann ich sagen, dass ich kein Homeoffice in „Vollzeit“ empfehle. Ich empfehle maximal 2 Tage pro Woche zuhause. Das war auch das Maximum, das ich als Personalmanagerin genehmigt habe. In diesem Modell bleibt der Austausch im Team und der soziale Kontakt zu Kollegen erhalten. Im Coworking Space gibt es zwar andere Menschen, aber eben keine aus demselben Unternehmen – zumindest in der Regel nicht.
[TK] Das kann ich so nicht bestätigen. Immer mehr Firmen entsenden für Einzelprojekte ganze Teams in Coworking-Spaces, um in einem anderen Setting „anders zu denken“ und zu arbeiten, als im gewohnten Büro. Und genauso häufig mieten Unternehmen in den Metropolregionen für Ihre Teams Büros in Spaces im jeweiligen Speckgürtel an, um den Mitarbeiter das Pendeln zu ersparen. Übrigens nicht nur aus ökonomischen, sondern verstärkt auch aus ökologischen Gründen.
Wie sieht es mit der rechtlichen Situation aus? Gibt es da Unterschiede?
[TK] Nun, in Deutschland gelten für jeden Arbeitsplatz gesetzliche Regelung, zum Beispiel das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Diese und weitere Vorschriften gelten selbstverständlich auch im Homeoffice und für den Arbeitsplatz im Coworking Space.
Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Bildschirmarbeitsplatz ihre Gesundheit nicht gefährden. Dabei können zum Beispiel bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Büromöbel, der Raumgröße sowie zur Beleuchtung ebenso zu beachten sein wie Vorgaben zu Bildschirmgeräten, Tastatur und Software. Das Unternehmen muss zudem die Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen überwachen und regelmäßig überprüfen. Deshalb braucht der Arbeitgeber ein Zutrittsrecht zur Privatwohnung, das er mit dem von zuhause arbeitenden Mitarbeiter vereinbaren muss. In einem Coworking-Space lässt sich das genauso umzusetzen, jedoch ohne die Privatsphäre der Mitarbeiter zu tangieren.
Gleiches gilt natürlich auch für datenschutz-relevante Themen. Vermutlich lässt sich das in geschlossenen Bereichen von Coworking-Spaces einfacher umsetzen, als im Homeoffice. Zumindest ist das meine Erfahrung. Gerade Behörden stehen dem Homeoffice da deutlich kritischer gegenüber, weil ihnen faktisch der Durchgriff auf den Arbeitsplatz fehlt.
Frau Frett, Sie sind eine Frau der Praxis, wie regeln Unternehmen das heute?
[BF] Ich kann natürlich nur für das Homeoffice sprechen. Selbstverständlich müssen geltende Gesetze und Verordnungen zum Beispiel zum Arbeitsschutz von den Arbeitgebern auch am Heimarbeitsplatz eingehalten und kontrolliert werden. Das ist auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bekannt. Das notwendige Zutrittsrecht wird heute meistens durch eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag – oder gleich mit einem neuen Vertrag – fixiert, übrigens zusammen mit der Datenschutzvereinbarung. Wer im Homeoffice arbeiten möchte, muss auch ein paar Kompromisse eingehen und Regeln beachten.
Wer ist denn in dieser Diskussion der Gewinner – Homeoffice oder Coworking?
[BF] Es geht hier nicht um gewinnen oder verlieren. Es gibt einfach Szenarien im Berufsleben, die die Nutzung eines Coworking-Spaces unmöglich machen: wenn Kinder im Spiel sind. Warum möchte eine leitende Mitarbeiterin unbedingt zuhause arbeiten? Nicht, weil die Möbel im Wohnzimmer schöner sind als die Büromöbel. Nicht, weil der Garten schöner ist als die öde Terrasse im Büro. Nein, weil sie ein oder mehrere Kinder hat und unbedingt wieder schnell einsteigen will in den Job. „Familie und Beruf“ ist das Stichwort. Dieser Mitarbeiterin – wir können hier gerne auch die Väter einbeziehen – kann ich als Chef den Wiedereinstieg ermöglichen, indem ich ihr anbiete, von zuhause aus zu arbeiten.
Ich selbst habe mit Managerinnen zusammengearbeitet, die abends – wenn die Kinder im Bett sind – super gearbeitet haben. In einem Fall war es sogar vom Timing her perfekt, weil die Dame Kunden in Übersee hatte, mit denen sie dann abends oder nachts telefonieren oder skypen konnte. DAS ist in einem Coworking Space nicht möglich.
Herr Kollewe, Ihre Antwort?
[TK] Oh, selbst das ist heute nicht mehr unmöglich. Es gibt in Deutschland die ersten Coworking-Spaces mit Kinderbetreuung. Nehmen Sie zum Beispiel „Coworking Toddler“ in Berlin. Dort verbindet man Beruf und Kinderbetreuung: In diesem Space können Eltern in einem professionellen Umfeld konzentriert arbeiten, während ihre Babys und Kleinkinder in der Kita direkt nebenan nach einem eigenen pädagogischen Konzept in der Gruppe betreut werden. Das Modell ist in Deutschland noch relativ neu. Aber auch hier zeigt die Nachfrage, dass der Weg ein richtiger ist
Frau Frett, Herr Kollewe, finden wir einen Konsens?
[BF] Sicher, in meinen Augen wird es eine Co-Existenz zwischen Homeoffice und Coworking geben. Beide Konzepte haben ihre Vorteile und Daseinsberechtigungen. Ich glaube, dass man jeden Einzelfall betrachten muss – und damit meine ich Unternehmen und Mitarbeiter.
Dass auch in Deutschland der Ruf nach einem Rechtsanspruch auf Homeoffice lauter wird, finde ich gut.
Ich möchte an dieser Stelle noch mal betonen, dass Homeoffice nichts für jeden Mitarbeiter ist, und jede Mitarbeiterin geeignet ist. Der/die eine oder andere braucht den Kontakt zu Kollegen und den Druck eines anwesenden Chefs. So jemand würde ohne Kontrolle und Aufsicht zuhause völlig unproduktiv.
Und es gibt selbstverständlich auch Bereiche in manchen Unternehmen, in denen das Homeoffice nicht umsetzbar ist. Ich denke z. B. an die ganzen Produktionsbereiche.
Ich denke, dass beide Modelle sehr gut sind. Letztendlich geht es darum, gute und pragmatische Alternativen zu schaffen. Die Kinderbetreuung in Deutschland ist nach wie vor ein riesen Thema und ich Blicke jetzt auch mal aus eigener Erfahrung in eine andere Richtung. Was ist mit der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger und der Vereinbarkeit mit dem Beruf?
[TK] Mir stellt sich nicht die Frage, welche der beiden Out-of-Office-Varianten die bessere Alternative zur Arbeit im Büro ist. Wichtig ist, dass überhaupt Alternativen geschaffen werden. Flexibilisierung der Arbeitswelt heißt ja nicht, die Menschen vom einen Korsett in ein anderes zu stecken.
Viel mehr freue ich mich über, dass immer weniger Arbeitgeber Anwesenheit im Büro mit Arbeitsleistung gleichsetzen. Flexibilisierung der Arbeitswelt heißt für mich, dass sich die Arbeit – dort wo möglich – nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und nicht umgekehrt. Das kann im heimischen Büro sein oder auch in Coworking-Spaces.
Gerade im ländlichen Raum müssen Kommunen, Wirtschaftsförderer und Unternehmen Angebote schaffen, die die Möglichkeiten der Digitalisierung auch im Arbeitsbereich konsequent ausnutzen. Das erhöht auf allen Seiten langfristig die Zufriedenheit.
Vielen Dank an Sie beide.
Über Barbara Frett
Barbara Frett ist eine Personalerin mit Leib und Seele. Die gebürtige Rheinländerin war seit Beginn der 90er Jahre in bekannten, international tätigen und eigentümergeführten Unternehmen verschiedener Branchen tätig, u. a. IT, Pharma, E-Commerce und Travel. Bevor sie sich 2016 mit ihrem eigenen Personalberatungsunternehmen FRETTWORK network GmbH selbstständig gemacht hat, war sie als HR Director der zum Amadeus-Konzern gehörenden TravelTainment Group für rund 500 Mitarbeiter an fünf deutschen Standorten sowie mehreren Standorten in Europa und Übersee verantwortlich.
In ihrer jetzigen Firma fokussiert sich die dreisprachige Personalspezialistin neben dem Recruiting von Fach- und Führungskräften auch auf den Auf- und Ausbau von Personalabteilungen im stark wachsenden Mittelstand. Unternehmen, die wenig Zeit bzw. keinen eigenen Personalbereich haben, können sich durch die Unterstützung von Frettwork zusätzliche Freiräume schaffen. Zudem zählt das Thema Entwicklung einer Arbeitgebermarke, das „Employer Branding“, zu den Kernkompetenzen von
Seit 2000 ist sie zudem als ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht Aachen tätig.
Barbara Frett ist in Personaler-Kreisen bundesweit bekannt und arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich mit Personalverantwortlichen zusammen.
Kontakt
Barbara Frett
Geschäftsführerin
FRETTWORK network GmbH
Tel. +49 (0)241 - 894949-50
b.frett@frettwork.de
Über Tobias Kollewe
Tobias Kollewe ist Gründer und CEO der cowork AG und Vorstand im Bundesverband Coworking Spaces Deutschland e. V. (BVCS).
Sein Herz schlägt für Coworking, flexibles Arbeiten und #officeonrails.
Tobias Kollewe
Vorstand cowork AG
Tel. 0821 20709860
tobias.kollewe@cowork.de